Unveröffentlichter umfangreicher Essay, nach einer doppelten Notiz am Oberrand von Blatt 1 und rückseitig auf Blatt 20 vorgesehen als Doppelnummer der »Zürcher Diskussionen«. – Auf liniertem Schreibpapier mit brauner Tinte verfasst. – Drei Blätter mit angesetzten Blättern für Fußnoten und Anmerkungen. – Einige Streichungen und Korrekturen, einige und teils farbige Auszeichnungen für den geplanten Satz. – Rechts oben eigenhändig paginiert.
»Unter den mannigfachen Tipen, die zwischen Gerichtssaal und Irrenanstalt hin und her schwankten, bildet der unzurechnungsfähige, oder planlose, oder auf Geisteskrankheit verdächtige Schwindler eine eigentümliche und markante Erscheinung. Ich glaube, Delbrück war der Erste, der den schwer zu faßenden Tipus unter der Bezeichnung ›psichisch abnormer Schwindler‹ schärfer zu umreißen versucht hat. Seine etwas magere, und besonders im kasuistischem Materjal unzulängliche, Studje will den patologischen Schwindler da festhalten, und seinen Geisteszustand dann als gegeben wißen, wenn es sich um eine zweklose Lüge handelt. Da die mit dem Vorteil verknüpfte Lüge den vulgären Schwindler kennzeichnet, so will er die scheinbar planlose Lüge als geistiges Karakteristikum für den patologischen Schwindler festgestellt wissen. … i) Delbrück, K., Die patologische Lüge und die psichisch abnormen Schwindler. Stuttgart 1891 […] Wir müssen uns also zur Karakterisirung des, Juristen wie Psichjatern gleich geläufigen, auf Unzurechnungsfähigkeit verdächtigen, Schwindlers nach einem andern Merkzeichen ansehen. Ich habe [ihn] an der Spitze dieses Aufsatzes, um ihn vom vulgären Schwindler zu unterscheiden, als naïven Schwindler bezeichnet. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob Einer sich des Schwindels als solchem bewußt ist, und dann einen, sei es widerrechtlichen […] Zweck verfolgt, oder ob Einer schwindelt, ohne es zu merken, wie ein Naturkind […]«. – Nach diesen einleitenden Überlegungen schildert Panizza einen »Fall eines naïven Schwindlers […], ein junger Mann, der sich Docteur à lettres de Wyczlinski nannte« und geht im Folgenden auf verschiedene literarische und historische Schwindler ein: »Wahrscheinlich war Mörike’s sog. ›Peregrina‹ ein ärmliches zwischen traumhafter Fantastik, naïver Erotik und glanzlosem Vagantentum hin und her taumelndes Mädchen […]«. – Ausführlich schildert er Aspekte der Betrügerin Thérèse Humbert und deren gerichtliche Verfolgung sowie Hintergründe der »Halsbandaffäre« und der Beteiligung der Gräfin de La Motte und des italienischen Hochstaplers Alessandro Cagliostro. – Schluss: »Wenn im Prozesse Humbert Dinge zur Sprache kommen, die den deutschen Kaiser als Gauner und als Mörder seines Hauptgläubigers bezichtigen, dann darf der Kaiser es nicht bis zu seiner Bezichtigung kommen lassen, denn der Sohn eines Gauners und Mörders kann nicht den deutschen Kaisertron besteigen«.
Ursprünglich mittig gefaltet, die ersten beiden Blätter dort mit kurzem Falzeinriss. – Insgesamt sehr gut erhalten.
Provenienz: Nachlass eines Lektors bei Drugulin, Leipzig. – Hauswedell & Nolte 2000, Auktion 347, KatNr. 2011 und Stargardt 2002, Auktion 676, KatNr. 272. – Privatsammlung USA